Bei der Frage, was sie derzeit am meisten vermisst, braucht Nora Hermanns nicht lange zu überlegen: „Es sind die persönlichen Kontakte, die mir fehlen. Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist durch Nichts zu ersetzen. Ich will meinen Patienten das Gefühl vermitteln, dass jemand an ihrer Seite ist, der ihnen hilft und sie unterstützt – und das ist per Mail und Telefon ungleich schwerer.“
Nora Hermanns ist Schlaganfall-Lotsin am Evangelischen Klinikum Bethel Bielefeld und Mitarbeiterin im Projekt STROKE OWL, ein Modell-Projekt der Stiftung Deutsche-Schlaganfall-Hilfe. 17 Schlaganfall-Lotsen sind in dem Projekt organisiert, die sich in Ostwestfalen um über 1.500 Schlaganfall-Patienten kümmern. Allein Nora Hermanns betreut 70 Menschen, die im letzten Jahr einen Schlaganfall erlitten haben. Ihre Schützlinge kommen zum Großteil aus Bielefeld, aber auch aus Lippe, Gütersloh und sogar dem Kreis Paderborn. Ein Jahr lang steht Nora Hermanns diesen Menschen als Lotsin zur Seite, anfangs noch in der Reha-Klinik, später dann bei ihnen zu Hause. Sie informiert und berät die Betroffenen und deren Angehörigen zu allen relevanten Themen rund um den Schlaganfall, koordiniert die einzelnen Maßnahmen, unterstützt bei der Beantragung von Hilfsmitteln, der Suche nach einem Pflegedienst oder bei notwendigen Umbaumaßnahmen. Darüber hinaus motiviert Nora Hermanns die Patienten zum Durchhalten von Therapien und Angeboten und kontrolliert die Risikofaktoren. „Den Großteil dieser Aufgaben führe ich normalerweise im persönlichen Kontakt aus, der gerade bei dieser Art der Betreuung enorm wichtig ist. Schließlich basiert unsere Zusammenarbeit auf Vertrauen und Nähe, Rahmenbedingungen, die in Zeiten von Corona nur schwer herzustellen sind“, sagt Nora Hermanns, die vor ihrem Engagement als Schlaganfall-Lotsin unter anderem bereits als Ergotherapeutin mit Schlaganfall-Patienten in der neurologischen Rehabilitation gearbeitet hat.
Wichtiger Ansprechpartner auch in Coronazeiten
Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und die Verhängung der Kontaktsperre in Deutschland Mitte März haben den Arbeitsalltag der 35-jährigen spürbar verändert: „Schlaganfallpatienten gehören zu den Hoch-Risikogruppen in Deutschland. Dementsprechend groß ist bei ihnen und ihren Angehörigen die Angst vor einer Infektion, aber auch die Unsicherheit, ob und unter welchen Bedingungen die oft dringend benötige Rehabilitation angetreten werden kann.“ Angesichts fehlender Informationen wenden sich viele mit ihren Fragen und Sorgen an Schlaganfall-Lotsen wie Nora Hermanns. Die hat allerdings wie ihre Kolleginnen und Kollegen seit Mitte März keinen Zutritt mehr zu den Rehakliniken und führt aktuell auch keine Hausbesuche bei ihren Patienten durch. Seitdem steht sie mit Patienten und Angehörigen vor allem im telefonischen Austausch oder teilweise auch in Email-Kontakt. Wichtige schriftliche Informationen wie beispielsweise Fact Sheets zu den Schlaganfall-Risikofaktoren oder Flyer zu relevanten Versorgungsangeboten wie beispielsweise einer Pflegeberatungsstelle oder auch Selbsthilfegruppen werden den Patienten in der Regel per Post zugesandt. Dennoch erlebt Nora Hermanns bei vielen Patienten und Angehörigen eine Orientierungslosigkeit und Überforderung mit der aktuellen Situation, die sie in ihren Kontakten soweit als möglich zu mildern versucht. „Natürlich bestärke ich sie darin, die Rehabilitationsmaßnahmen unmittelbar nach der Akutbehandlung im Krankenhaus anzutreten, um die langfristigen Folgen des Schlaganfalls möglichst gering zu halten. Ich kläre aber auch über alternative Möglichkeiten der medizinischen Versorgung auf, zum Beispiel Audio- und Videoangebote als Ersatz für einen Arztbesuch in der Praxis.“
Die persönliche Begegnung fehlt zurzeit
Nora Hermanns wird seit Beginn an über ein Info-Portal im Intranet ihres Arbeitgebers sowie durch mehrmals wöchentliche Email-Newsletter über alle relevanten Themen und Entwicklungen zum Coronavirus und daraus resultierenden Veränderungen auf dem Laufenden gehalten. Über ein Info-Portal auf der Website der Schlaganfall-Hilfe hat sie außerdem Zugriff auf alle wichtigen Fragen und Antworten zum Thema „Schlaganfall und Corona“ sowie weitere seriöse Informationsquellen. Nora Hermanns, die sich derzeit nur mittels „Ferndiagnose“ ein Bild von ihren Schützlingen machen kann, ergänzt: „Augenkontakt, Mimik, Gestik – all dies stärkt den Beziehungsaufbau zum Gegenüber und fördert die Kommunikation. Außerdem konnte ich mir vor Corona in der Rehaklinik oder im häuslichen Umfeld des Patienten ein viel besseres Bild von dessen Gesundheitszustand und der Versorgungssituation machen und gegebenenfalls unmittelbar Einfluss nehmen. Dies versuche ich derzeitig aber weitestgehend durch Telefonkontakte oder durch Emailaustausch mit meinen Patienten zu kompensieren.“ Die Tätigkeiten der Lotsen hält Nora Hermanns gerade in diesen Zeiten für ausgesprochen wichtig: „Als ständiger Ansprechpartner für alle Fragen rund um den Schlaganfall und für die weitere Versorgung sind wir eine enorme Verstärkung für jeden Schlaganfall-Patienten. Außerdem gibt es Betroffenen in dieser kritischen Situation ein Gefühl von Sicherheit – und damit hoffentlich auch Mut für die kommenden Wochen und Monate.“ Und Besserung ist in Sicht. Mit den beschlossenen Lockerungen des Kontaktverbots werden auch Hausbesuche bei den Patienten hoffentlich bald wieder möglich sein. Zurzeit werden dafür die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ausgearbeitet. Nora Hermanns freut sich, demnächst ihre Patienten wieder persönlich treffen zu können.
Weitere Informationen: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe