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Gesundheitslotsen für Menschen in Not

Die einstigen politischen Widersacher Günter Garbrecht und Michael Brinkmeier aus OWL kämpfen gemeinsam für die Einführung eines neuen Berufsbilds. Vorbild ist das Erfolgsmodell der Schlaganfall-Lotsen.

Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Jobverlust, Trennung oder der Verlust von Angehörigen können Menschen in Ausnahmesituationen versetzen. Wenn das Leben plötzlich nicht mehr alleine zu bewältigen ist, gibt es in Deutschland viele Unterstützungsangebote. Trotzdem gelangen Menschen in schweren Lebenslagen nicht immer an die Hilfe, die sie auch benötigen. Experten kritisieren seit langem, dass Hilfesuchende in dem Dschungel aus Angeboten und Zuständigkeiten verzweifeln. Um dieses Problem zu lösen, kämpfen die Gesundheitsexperten Günter Garbrecht und Michael Brinkmeier nach dem Vorbild des Erfolgsmodells der Schlaganfall-Lotsen für die Einführung von Gesundheitslotsen.

Problemlage

„Die Coronakrise offenbart die Schwächen des deutschen Sozialsystems, das viele gute Angebote enthält, die jedoch für sich alleine stehen und nicht miteinander vernetzt sind. Die Struktur ist angebotsorientiert und nicht nachfrageorientiert, mit der Folge, dass Hilfesuchende auf der Strecke bleiben“, moniert Brinkmeier, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in Gütersloh. „Seit 20 Jahren gibt es Modellversuche, um das Problem anzugehen, aber bislang ist es nicht gelungen, das System zu vereinfachen. Stattdessen sind weitere Spezialangebote wie Familien-, Dorf- oder Seniorenhelfer dazugekommen. Das Problem wird dadurch aber nicht gelöst, die Zeit der Modellversuche muss endlich vorbei sein“, fordert Garbrecht, Vorstand der Stiftung Solidarität in Bielefeld.

Brinkmeier (CDU) und Garbrecht (SPD) kämpfen als langjährige politische Widersacher im NRW-Landtag deshalb nun gemeinsam dafür, Gesundheitslotsen in die Regelversorgung zu implementieren. „Unser Ziel ist es, dass das Berufsbild des Gesundheitslotsen geschaffen und als neue Leistungsart im ersten Sozialgesetzbuch festgeschrieben wird“, erklärt Garbrecht, der sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag 2017 für Menschen in Not engagiert. „Wichtig ist ein allgemeiner Anspruch für Menschen mit komplexem Versorgungsbedarf. Konkret würde zum Beispiel ein Arzt bei einem Schlaganfall oder einer anderen schweren Lebenslage eine Verordnung für einen Gesundheitslotsen ausstellen und den Bedarf ähnlich wie beim Pflegegrad auf einer Skala von eins bis fünf einschätzen“, ergänzt Brinkmeier.

Finanzierung

Garbrecht und Brinkmeier plädieren dafür, dass die Steuerung der Lotsen kommunal verantwortet wird. „Denn es sind die Akteure in der Region, die das größte Interesse daran haben, dass es den Betroffenen besser geht“, sagt Brinkmeier. „Als Träger der Lotsen kommen nur die Kommunen in Frage, weil sie die Struktur vor Ort anbieten“, ergänzt Garbrecht.

An den Kosten müssen sich nach Einschätzung der Experten jedoch alle Stellen beteiligen, die profitieren. „Also Krankenkassen, Pflegeversicherung und Rentenversicherung“, sagt Garbrecht. „Angst vor einer Kostenexplosion müssen die Kostenträger nicht haben, denn die Hilfe von Lotsen erhalten nur die, die sie auch wirklich benötigen. Zudem erfahren die Kostenträger durch digitale Erfassung und wissenschaftliche Evaluation, ob sich die Investition lohnt.“ Laut Brinkmeier bedarf es der Bildung eines Mischfonds aus den Sozialgesetzbüchern auf Bundesebene.

Dafür müssen Garbrecht und Brinkmeier nun Kostenträger und Politik überzeugen. Im Dezember haben die beiden das Konzept bereits im Regionalrat vorgestellt und Unterstützung erhalten. „Auch die Ärzte und Krankenhäuser haben uns Unterstützung zugesichert“, sagt Garbrecht. Trotzdem steht den beiden ein langer Weg bevor.

Vorbildregion OWL

Brinkmeier weiß als Vorsitzender der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe genau, was es bedeutet, so einen Weg zu gehen. Denn die Stiftung will mit dem Projekt Stroke OWL bis 2021 den Beweis antreten, dass sich mit Schlaganfall-Lotsen als Ansprechpartner die Lebensqualität der betreuten Patienten erhöht, und dass sich dadurch präventiv die Zahl erneuter Schlaganfälle reduzieren lässt, was sich auch gesundheitsökonomisch positiv auswirkt. Ziel ist es, die Schlaganfall-Lotsen in die Regelversorgung zu implementieren.

Der Bielefelder Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner evaluiert das Projekt. „Im kommenden Jahr rechnen wir mit den Ergebnissen, die sich hoffentlich mit den Erfahrungen der Lotsen und ihren Patienten decken“, erklärt Brinkmeier. „Menschen, die einen Schlaganfall erleiden oder in einer anderen schweren Lebenslage stecken, wünschen sich einen qualifizierten und emphatischen Ansprechpartner, der Ärzte, Pflegekräfte oder Therapeuten nicht ersetzt, sondern die unabhängige Rolle eines Kümmerers übernimmt, der den Weg in dem komplexen deutschen Sozialsystem weist und Hilfe zur Selbsthilfe gibt.“ Laut Garbrecht ist OWL „mit diesem Erfolgsmodell und dem starken Gesundheitssektor der perfekte Ausgangspunkt für die Einführung von Gesundheitslotsen“.

Quelle: Neue Westfälische, Carolin Nieder-Entgelmeier, 16.07.2020; online: www.nw.de

Projekt Schlaganfall-Lotsen: www.stroke-owl.de