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Gesundheitsexperte schlägt Alarm: "Uns fehlen Pflegekräfte"

Der Gesundheitssektor zählt zu den großen Wachstumsmärkten. Klingt erst mal gut. Doch vor allem im ländlichen Raum drohen Versorgungslücken.

Steinhagen. „Der Anteil der älteren und hochbetagten Menschen steigt weiter deutlich an in den nächsten Jahren. Natürlich ist es schön, alt zu werden. Aber natürlich wollen wir alle möglichst gesund älter werden", sagt Uwe Borchers. Der Geschäftsführer des Zentrums für Innovation in der Gesundheitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe, kurz ZIG, war jetzt zu Gast beim Steinhagener Seniorenbeirat.

„Enorm wichtig für die Vitalität einer Stadt"

Noch vor wenigen Jahren sei man in Steinhagen in großer Sorge um die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung gewesen, stellte der Seniorenbeirats-Vorsitzende Reinhard Junker fest. Inzwischen habe sich die Lage jedoch entspannt. Tatsächlich konnten Praxisübergaben organisiert und sogar gänzlich neue Mediziner angeworben werden. Wer hätte noch vor zwei Jahren gedacht, dass es allein im Ortsteil Brockhagen gleich drei praktizierende Allgemeinmediziner geben würde? Doch dank Dr. Tanja Wöbke-Hermbecker im neuen Gesundheitszentrum und der Gemeinschaftspraxis von Dr. Michael Klessing und Dr. Anja Brinkmann ist genau das der Fall.

Auch die Fachärzteversorgung ist in Steinhagen aktuell gut. Laut Bürgermeisterin Sarah Süß, die an der Sitzung teilnahm, fehle jedoch nach wie vor ein Neurologe in der Gemeinde. Die weggefallene Stelle der Kinderärztin habe man glücklicherweise neu besetzten können.

"Gesundheit ist wichtiger Standortfaktor"

Wie berichtet, hat Dr. Katharina Koschinski im August die Nachfolge von Dr. Maria Rita Bredenbröker angetreten. Die Ansiedlung habe die Gemeinde finanziell bezuschusst, wie Sarah Süß ausführte. Genau solche Programme begrüßt Borchers. Und sie zahlten sich für die Kommunen aus. „Denn Gesundheit ist ein wichtiger Standortfaktor und enorm wichtig für die Vitalität einer Stadt", hob Borchers hervor.

Doch er warnte: Der demografische Faktor mache auch vor der Ärzteschaft nicht halt. Zwei Drittel der Hausärzte in OWL seien älter als 60 Jahre. Deren Pensionierung rücke somit in Sichtweite. Und nach wie vor sei es schwierig, junge Nachwuchsmediziner aufs Land zu locken.

Große Hoffnungen setzt das ZIG in die in diesem Jahr eröffnete medizinische Fakultät an der Uni Bielefeld. „Facharztpraxen aus den Kommunen arbeiten mit der Uni zusammen. Wir hoffen, dass wir dadurch langfristig junge Mediziner in der Region halten können", berief sich Uwe Borchers auf den viel zitierten Klebeeffekt. Ihn stimmt optimistisch, dass die Hälfte der 60 Erstsemester aus OWL kommt. „Wir haben also gute Karten, dass ein erheblicher Teil auch hier bleibt."

„Für ein Rezept reicht der digitale Kontakt"

Probleme bereite momentan der Mangel an Pflegepersonal, so der Gesundheitsexperte. „Laut einer Bertelsmann-Studie fehlen 2.000 Pflegekräfte im Kreis Gütersloh", so Uwe Borchers. Doch gerade in diesem Bereich werde der Bedarf angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft weiter steigen. „Wir müssen deshalb Aussteiger wieder aktivieren, und wir benötigen Pflegekräfte aus dem Ausland."

Für Borchers steht außerdem fest: „Professionelle Pflegekräfte alleine werden es nicht schaffen. Ehrenamtliche Strukturen müssen ausgebaut werden und familiäre und nachbarschaftliche Hilfen eingebunden werden." In der schönen neuen Welt der medizinischen Versorgung und Pflege ist die Digitalisierung ein wichtiger Baustein. Wie viele der zwölf anwesenden Mitglieder des Seniorenbeirates bei Gesundheitsfragen zunächst mit einem Roboter beziehungsweise Bot Vorlieb nehmen würden, wollte Uwe Borchers wissen. Nur drei Hände gingen hoch.

„Um ein Rezept zu bestellen, reicht natürlich ein digitaler Kontakt", zeigte sich etwa Udo Waschkowitz offen für neue Konzepte. Eine sinnvolle Ergänzung zum persönlichen Gespräch kann darüber hinaus die Telemedizin sein, also eine Videosprechstunde, bei der sich die Patienten über eine Kamera mit dem Arzt oder der Ärztin zusammenschalten. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Patienten ersparen sich die Anfahrt und Wartezeiten. Die Ärzte können Praxisabläufe effizienter organisieren. Aber auch der digitale Austausch von Gesundheitsinformationen unter den Praxen müsse weiter ausgebaut werden, so Uwe Borchers.

Quelle: Haller Kreisblatt, 19.11.2021, online