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Digitale Medizin: Telemedizin als Chance und Herausforderung

Die Corona-Pandemie hält die Gesundheitswirtschaft nach wie vor in Atem. Gleichzeitig treibt sie die Digitalisierung der Branche voran. Auch die Telemedizin findet in dieser Entwicklung mehr Beachtung. Ob Videosprechstunde oder Telekonsil: Zahlreiche Menschen nutzen mittlerweile die Möglichkeiten der digitale Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung. Mit ihrem Verhalten tragen sie dazu bei, dass dieses Werkzeug der digitalen Medizin auch in unserer Region zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Eine Entwicklung, die sich mit Zahlen belegen lässt: Laut Studie der AOK Nord West wurden allein im ersten Halbjahr 2021 insgesamt fast 30.000 Videosprechstunden von Versicherten mit Ärzten in Westfalen-Lippe durchgeführt. Das sind fast 50 Prozent mehr verglichen mit dem gleichen Zeitraum 2020. 2019 suchten sogar nur 60 Personen im ersten Halbjahr medizinischen Rat via Videosprechstunde. Eine erstaunliche Zurückhaltung, lagen die Vorteile für medizinisches Personal und Patienten doch schon vor zwei Jahren auf der Hand: Während sich die Betroffenen Anfahrtswege und Wartezeiten sparen, können Krankenhäuser und Ärzte ihre Praxisabläufe effizienter organisieren, Fachfragen durch die Einholung einer zweiten Meinung schnell und unkompliziert abklären und gleichzeitig eine verlässlichere Diagnose vornehmen. Eine gewinnbringende Situation für beide Seiten, von der insbesondere Menschen in ländlichen Regionen profitieren.

Infrastruktur muss verbessert werden

Der Einsatz von Telemedizin ist aber nicht nur eine sinnvolle Ergänzung zum persönlichen Austausch von Patienten und Ärzten. Auch der digitale Kontakt der Mediziner untereinander hat einen enormen Nutzen für Patienten, der bis hin zu lebensrettenden Interventionen reichen kann. Beispielsweise sind seit Ausbruch der Pandemie knapp 53 Prozent der intensiv beatmeten COVID-Patienten in Deutschland verstorben. Dagegen liegt der Anteil der telemedizinisch betreuten Patienten, die an einer Corona-Infektion verstorben sind, lediglich bei rund 34 Prozent. „Die Möglichkeit, sich kurzfristig mit Kollegen über Krankheitsverläufe und Behandlungsmethoden zu verständigen, zahlt sich in jedem Fall für den Patienten aus“, sagt Prof. Dr. Christian Juhra, Leiter der Stabsstelle Telemedizin am Universitätsklinikum Münster. Gerade in Bereichen wie beispielsweise der Palliativmedizin, wo im Einzelfall der behandelnde Arzt, der Patient und ein hinzugezogener Experte die Situation am Bildschirm analysieren und besprechen, sei der Nutzen von telemedizinischen Anwendungen enorm hoch. Beispiele, die zeigen, wie innovativ, vielfältig und nützlich die Telemedizin sein kann – wenn sie die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereithält.

Doch genau in diesem Punkt liegt auch eine der großen Herausforderungen der Telemedizin, so Christian Juhra: „Leider haben wir auf allen Seiten, d.h. bei den Patientinnen und Patienten, aber auch bei den Ärzten oder im Krankenhaus, manchmal Probleme mit der digitalen Infrastruktur. Die Internetanbindung ist teilweise nicht hinreichend ausgebaut oder aber die technische Ausstattung bei den Kommunizierenden nicht ausreichend. Hier müssen wir in Zukunft unbedingt besser werden.“ Hoffnung machen ihm in diesem Punkt die neuen finanziellen Mittel für den Ausbau der Informationstechnologie in Krankenhäusern, die über das sog. Krankenhauszukunftsgesetz zur Verfügung gestellt werden sollen. Aber auch andere Akteure schlafen nicht: So hat beispielsweise die Otto Group kürzlich verkündet, erhebliche finanzielle Mittel in die Telemedizin zu investieren und zusammen mit anderen Anbietern wie der Firma MedGate aus der Schweiz gezielt ihre Angebote im Bereich DigitalHealth zu erweitern.

Kultur des Vertrauens fördern

Es sind aber nicht nur technische Schwierigkeiten, mit der die Telemedizin zu kämpfen hat, weiß Christian Juhra: „Auch wenn wir hier noch einiges zu tun haben: Die Technik ist nicht das legitimierende Element. Dank der starken Sektorierung und Reglementierung, die die Gesundheitswirtschaft in Deutschland immer noch prägt, ist die Unternehmenskultur auf Seiten vieler Beteiligter überhaupt nicht auf eine digitale Zusammenarbeit ausgelegt bzw. vorbereitet. Wenn wir die Möglichkeiten der Telemedizin in ihrer ganzen Bandbreite nutzen wollen, müssen wir aber genau an diesem Punkt ansetzen. Nur wenn wir vertrauensvoll miteinander arbeiten und eine gemeinsame Vision entwickeln, wie das Gesundheitswesen in Deutschland in Zukunft aussehen soll, werden wir den digitalen Wandel auch in der Medizin vorantreiben können und damit nicht nur eines der teuersten, sondern auch eines der effektivsten Gesundheitssysteme in Europa haben.“

Neue Anreize setzen

Einen Weg, dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, sieht Christian Juhra in der Unterstützung und Förderung von Kooperationen und gemeinsamen Projekten. Hier gäbe es schon erste Ansätze wie beispielsweise das Virtuelle Krankenhauses, aber noch stecke man gerade bei diesem Thema in den Anfängen. Modellcharakter haben für ihn in diesem Zusammenhang die Berufsgenossenschaften, die einen langfristigen Ansatz verfolgen, bei dem der Patient von der Erstbehandlung bis hin zum Rentenalter im Fokus ist: „Dieser ganzheitliche Ansatz setzt voraus, dass die verschiedenen, im Prozess involvierten Akteure Hand in Hand arbeiten und dies immer mit Blick auf den Patienten. Wenn es uns gelingt, diesen Ansatz in die Fläche zu bringen und weiterzuentwickeln, werden wir es auch schaffen, die Gesundheitswirtschaft erfolgreich in das digitale Zeitalter zu überführen.“

Link: Stabsstelle Telemedizin am UKM
Text: Christian Horn

 

Digitale Medizin in Westfalen

Mitte März hatte das ZIG OWL mit dem Westfalen e.V. zur Online-Veranstaltung „Digitale Medizin in Westfalen“ eingeladen. Die erfolgreiche Veranstaltung hat gezeigt, in welchen Bereichen digitale Medizin an Bedeutung gewinnt. Innovative Ansätze wie die Digitalisierung klinischer Studien, die digital unterstützte Versorgung von Demenzpatienten, telemedizinische Anwendungen im ländlichen Raum, das virtuelle Krankenhaus NRW oder die digitale Betreuung herzkranker Menschen werden nach und nach Teil der medizinischen Regelversorgung, auch wenn manche Entwicklung noch in den Anfängen steckt.

Wir dokumentieren in unserer kleinen Serie „Digitale Medizin“ die spannenden Vorträge mit ihren innovativen Inhalten. Jenseits der Fachinformation zeigen die Beiträge der Veranstaltung, wie gut die Region schon heute bei diesem Zukunftsthema aufgestellt ist und mit wie viel Engagement die beteiligten Einrichtungen und Akteure die Entwicklung der digitalen Medizin nach vorne treiben, geleitet von dem Ziel, den größtmöglichen Nutzen für Patientinnen und Patienten oder Betroffene herzustellen.

Wir stehen gern für Ihre Fragen und Hinweise zu Verfügung. info(at)zig-owl.de