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Digitale Medizin in Westfalen: Innovative Versorgung für die Menschen in der Region

Die digitale Medizin spielt in der Gesundheitsregion Westfalen bereits eine wichtige Rolle. Die Telemedizin, der Telenotarzt oder das „Virtuelle Krankenhaus“ sind Anwendungen, die im Regelbetrieb integriert sind oder unmittelbar vor ihrem Einsatz stehen. Diese Entwicklungen zeigen Potentiale und neue Perspektiven digitaler Medizin. Bei der Online-Veranstaltung „Digitale Medizin in Westfalen“ konnten sich Interessenten nun über den aktuellen Stand zum Thema informieren.
Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung der beiden Veranstalter Westfalen e.V. und ZIG OWL gefolgt. Begrüßt wurden sie von Professor Gerhard Sagerer, Rektor der Universität Bielefeld, der in seinem Grußwort die Bedeutung der Region Westfalen mit Blick auf den Einsatz und die Entwicklung der digitalen Medizin hervorhob. Es sei wichtig, neben der technologischen Ausrichtung zentrale Themen wie Ethik und Humanität im Blick zu behalten. „Wir brauchen die intelligente Kombination von traditioneller Medizin, ethischen Normen und Werten sowie moderner Technologie, um den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gerecht zu werden. Dieser Ausrichtung tragen wir am Standort Bielefeld Rechnung, indem wir die medizinische Fakultät bewusst mit anderen Fachrichtungen wie Philosophie und Medizingeschichte verknüpfen.“

Corona beschleunigt Entwicklungsprozess

Für Lars Andre Ehm, Gruppenleiter für Gesundheitsversorgung, Prävention und Digitalisierung im Gesundheitswesen im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, steht die Corona-Pandemie für einen gewaltigen Umbruch, der die Entwicklung in der Gesundheitswirtschaft auch in den nächsten Jahren kennzeichnen werde. Auch wenn die Umsetzung der notwendigen Technologien viel Zeit gebraucht hätte, sei die Akzeptanz der Bürger für digitale Anwendungen deutlich gestiegen: „Die Menschen haben erkannt, dass sie von digitalen Medizinlösungen profitieren.“ Digitale Medizin habe eine wachsende Bedeutung in ländlichen Regionen, das zeige sich beispielsweise beim Projekt Telenotarzt, der bereits seit 2014 in Aachen im Regelbetrieb eingesetzt wird und mittlerweile auch in vielen anderen Kreisen und Städten der Region ein wichtiger Teil der notarztmedizinischen Versorgung ist.

HDZ NRW setzt auf Strategie der Digitalisierung

Das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen bietet ab dem 1. April 2022 Leistungen aus dem „Virtuellen Krankenhaus“ an. „Bisher mussten Patienten oft allerhand Mühen auf sich nehmen, um die Leistungen vor Ort in Anspruch nehmen zu können. Nun wird vieles auf Mausklick möglich sein“, lobt Lars Andre Ehm. Anerkennende Worte, die Dr. med. Karin Overlack, Geschäftsführerin von Deutschlands größtem Herztransplantationszentrum, gerne zur Kenntnis nahm. Ungeachtet dessen sieht sie das HDZ NRW noch am Anfang einer Qualitätsoffensive, bei der noch einiges zu tun sei: „Wir wollen die Vision einer optimalen Prozess- und Behandlungsqualität realisieren. Dafür brauchen wir einen umfassenden Blick auf die Patientendaten und nicht nur einen kleinen Ausschnitt. Erst dann werden wir unsere Vorstellung zum Nutzen unserer Patienten und Mitarbeiter wirklich erfüllen können.“
Mit dem  „Virtuellen Krankenhaus“ sei nun ein wichtiger Schritt getan, um sich dieser Version zu nähern. Erfolge verzeichnet das HDZ auch bei Telemedizin-Anwendungen, die zu signifikanten Reduktionen bei der Mortalität, der Hospitalisierung und der Gesamtbehandlungskosten geführt hätten. Dagegen seien andere Bereiche der digitalen Medizin wie beispielsweise KI-Anwendungen noch im Aufbau. Der Erfolg der digitalen Medizin beruht laut Karin Overlack auf zwei Komponenten: „Zum einen brauchen wir trotz aller Technologie immer noch den Menschen, der sich um den Patienten kümmert. Zum anderen brauchen wir vollständige Daten in einer Hand. Nur so können wir die Prozess- und Behandlungsqualität sicherstellen.“

Digitale Medizin braucht auch einen kulturellen Wandel

Aussagen, denen Prof. Dr. med Christian Juhra, Leiter der Stabsstelle Telemedizin am Universitätsklinikum Münster, sofort zustimmen würde. „Telemedizin kann Patienten wertvolle Hilfen leisten – wenn sie die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereithält.“ Wie wichtig die Telemedizin sei, zeige sich insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie. Eine Einschätzung, die er mit Zahlen untermauerte. So seien knapp 53 Prozent der intensiv beatmeten COVID-Patienten in Deutschland verstorben. Dagegen läge der Anteil der telemedizinisch betreuten Patienten, die an einer Corona-Infektion verstorben seien, lediglich bei rund 34 Prozent. „Die Möglichkeit, sich kurzfristig mit Kollegen über Krankheitsverläufe und Behandlungsmethoden zu verständigen, zahlt sich also in jedem Fall für den Patienten aus“, sagt Christian Juhra. Um die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, sei aber nicht nur ein technologischer Sprung und niederschwellige Prozesse nötig, sondern vor allem ein kultureller Wandel. „Die Technik ist nicht das legitimierende Element. Wir müssen es schaffen, das Vertrauen der Patienten und auch der Anwender in die Telemedizin zu steigern. Sonst bringt uns auch die beste Technik nicht weiter.“

Ärztlicher Blick: Digital Clinician Scientist

Digitale Medizin setzt das Vertrauen der Patientinnen und Patienten voraus und stärkt ihre Beteiligung und Mitarbeit an der Versorgung. Wie wirkungsvoll dieses Zusammenspiel sein kann, berichtete Dennis Lawin, Digital Clinician Scientist der Arbeitsgruppe Digitale Medizin, der Medizinischen Fakultät OWL an der Universität Bielefeld. Er kümmert sich als Assistenzarzt des Klinikums Bielefeld um Patientinnen und Patienten mit Herz-Rhythmus-Störungen. „Da unsere Patienten früher nur bei Beschwerden zu uns kamen und damit zwischen ihren Aufenthalten diagnostische Lücke entstanden, war die Situation lange Zeit sehr unbefriedigend. Dank digitaler Medizinanwendungen haben wir heute die Möglichkeit der kontinuierlichen Datenversorgung. Das ist für uns, vor allem aber für unsere Patienten, ein riesiger Fortschritt.“ Bei dem Datentransfer via Apple Watch können verschiedene Anwendungstechniken eingesetzt werden, von der klassischen EKG-Anwendung über PPG- Technik bis hin zu sprachbasierten Anwendungen. Unabhängig davon ist die Qualität der Daten erstklassig, weiß Dennis Lawin: „Ob im Falle eines Vorhofflimmerns oder bei den Auswirkungen einer COVID-Infektion: Dank besserer Auswertung und Diagnostik können wir Probleme, die wir sonst nicht erkennen würden, nun sichtbar machen. Dies ist auch einer der Gründe, warum wir ab dem 1. April 2022 auch die Long-COVID-Ambulanz in Bielefeld mit dieser Technologie unterstützen.“

Mit Künstlicher Intelligenz Forschungsergebnisse ganz neu nutzbar machen

Bei der Nutzung von Forschungsdaten zu Medizin und Gesundheit geht es schon längst nicht mehr um die reine Menge der Information. Jeden Tag kommen Millionen neuer Datensätze aus über 100 veröffentlichten klinischen Studien hinzu. Für Prof. Dr. rer. nat. Philipp Cimiano, Leiter der AG Semantische Datenbanken, CITEC, ein Anlass für einen besonderen Lösungsansatz: „Wir verzeichnen in der Forschung seit Jahren einen enormen Datenzuwachs, der es kaum mehr möglich macht, den Überblick zu behalten. Vor allem aber kostet es enorm viel Zeit und Ressource, diese Informationen, die oft noch in Papierform vorliegen, überhaupt nutzbar zu machen. Wenn sie nicht maschinenlesbar sind, sind sie für die digitale Medizin aber wertlos.“ Wie dieses Problem gelöst werden kann, erläuterte Philipp Cimiano seinem Vortrag. Die von seinem Team entwickelte Technologie „Dynamic Interactive Argument Trees“ (DIAeT) liest die Forschungsdaten ein und zieht aus allen verfügbaren Informationen Rückschlüssen, die dann dem Anwender zur Verfügung gestellt werden. Dabei kann dieser eine Vielzahl von Filtern einsetzen, z.B. die Anzahl der Studienteilnehmer oder Untersuchungsgebiete, um das Ergebnis soweit als möglich zu spezifizieren. Erste Tests mit dem neuen Tool verliefen vielversprechend, was vor allem auf die sehr gute Datenmodellierung zurückzuführen sei: „Letztlich haben wir bei diesem Thema keine technische Herausforderung, sondern eine organisatorische. Immerhin müssen wir Milliarden von Daten maschinenlesbar aufbereiten. Dies ist natürlich ein ziemlicher Aufwand, der sich aber in jedem Fall lohnt, da er letztendlich direkt den Patienten zu Gute kommt.“

Digital gegen Demenz

Wie wichtig die digitale Medizin gerade für die regionale Gesundheitsversorgung sein kann, zeigten abschließend PD Dr. rer. med. Rene Thyrian und Prof. Dr. rer. nat. Julia Haerstroh von der Universität Siegen in ihrem gemeinsamen Vortrag über Evidenz, Konzepte und Strategien der Demenz-Versorgungsforschung. „Gerade bei diesem Thema haben wir oft sehr dynamische und regional unterschiedliche Veränderungsprozesse. Darauf müssen wir uns als Gesellschaft vorbereiten und entsprechende Konzepte entwickeln, sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung“, erläuterte Rene Thyrian. Welche Möglichkeiten die digitale Medizin aber auch für Demenzkranke biete, verdeutlichte Julia Haberstroth anhand eines Pilotprojektes, das im letzten Jahr in der Region Siegen-Wittgenstein angelaufen ist. Auf Basis eines partizipativen Netzwerks können hier dank digitaler Anwendungen Versorgungslücken rasch identifiziert, individuelle Behandlungs- und Versorgungspläne erstellt und Lösungskonzepte mit Hausärzten, Monitoring und Ergebniskontrollen umgesetzt werden. Lediglich die Hausbesuche durch eigens dafür geschultes Fachpersonal werden nach wie vor nach altem Muster umgesetzt. Der Pilotstudie soll im Juni 2024 abgeschlossen sein und dann möglicherweise Modellcharakter für weitere Regionen haben.

Starke Region für Digitale Medizin

In der Bilanz aus Sicht der Veranstalter zeigt sich Uwe Borchers vom ZIG OWL überzeugt: "Westfalen ist eine starke Region für digitale Medizin. Wichtig ist, dass die Digitalisierung eine bessere Versorgung der Menschen im ländlichen Raum ermöglichen kann. Es geht uns aber auch um die Sichtbarkeit der Region als Standort für Spitzenmedizin und exzellente Forschung."

Weitere Information:
Virtuelles Krankenhaus startet in NRW (WDR Nachrichten)
Herzzentrum ist Expertenzentrum im Virtuellen Krankenhaus NRW (WDR Lokalzeit OWL)