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Digitale Gesundheitsplattform: Kliniken und Praxen im Kreis Paderborn schaffen einzigartiges System

Mit der Gesundheitsplattform OWL können Arztbriefe, Überweisungen und Co. digital verwaltet und ausgetauscht werden. Im Rest der Region könnte das System bald ebenfalls Schule machen.

Seit Jahrzehnten wird über die Digitalisierung im Gesundheitswesen gestritten. Immer wieder kündigen Gesundheitsminister Revolutionen an, wie zuletzt mit der elektronischen Patientenakte; doch die lässt bereits seit 20 Jahren auf sich warten. Im Kreis Paderborn haben Krankenhäuser und Arztpraxen das Warten satt. Sie sorgen selbst für den Wandel. Mit der digitalen Gesundheitsplattform OWL haben sie eine bundesweit einzigartige Vernetzung geschaffen, die die Patientenversorgung verbessert und die Beschäftigten entlastet. Künftig soll das Projekt auf Wunsch der NRW-Landesregierung Schule im Rest des Landes machen.

Die digitale Gesundheitsplattform OWL ermöglicht Kliniken und Praxen im Kreis Paderborn den Austausch von Gesundheitsdaten ihrer Patienten. „Stimmen Patienten diesem Austausch zu, erhalten sie ähnlich wie beim Online-Banking ein Benutzerkonto, über das sie ihre Gesundheitsdaten verwalten und einsehen können“, erklärt Hausarzt Ulrich Polenz, Vorsitzender des Praxisnetzes Paderborn mit 160 Mitgliedern. „Die Patienten bestimmen, welche Daten Kliniken und Praxen übermitteln und wer Zugriff darauf hat. Krankenkassen haben keinen Zugriff.“

Seit einem Monat läuft die Plattform, die Patienten kostenlos und unabhängig von ihrer Krankenversicherung nutzen können, im Probebetrieb. Inzwischen sind 480 Patienten dabei. „Am 29. Mai starten wir mit der Öffentlichkeitskampagne, dann kann jeder teilnehmen“, sagt Polenz.

Gesundheitsdaten liegen dort vor, wo sie gebraucht werden

Mit dabei sind Haus- und Facharztpraxen des Praxisnetzes sowie die fünf Akutkrankenhäuser im Kreis Paderborn: Das evangelische Krankenhaus St. Johannisstift, die LWL-Klinik, das St. Vincenz-Krankenhaus, das Brüderkrankenhaus St. Josef sowie die Karl-Hansen-Klinik. „Es können sich jederzeit weitere Praxen und Kliniken anschließen sowie künftig auch Apotheken, Pflegeheime, Palliativnetze und andere Akteure im Gesundheitswesen“, erklärt Martin Wolf, Vorstandssprecher des evangelischen Krankenhauses St. Johannisstift in Paderborn. „Die Gesundheitsplattform ist ein wachsendes und lernendes Netzwerk.“

Aktuell können Kliniken und Praxen bereits Arztbriefe, Ein- und Überweisungen, Medikationspläne und Bilddateien, beispielsweise von MRT-Untersuchungen, austauschen. „So liegen alle Gesundheitsdaten dort vor, wo sie auch gebraucht werden und kommen noch vor dem Patienten in Kliniken und Praxen an“, erklärt Polenz. Der papierlose Austausch dieser Daten erspare Patienten viel Zeit. „Aber auch die Beschäftigten profitieren, weil sie die Daten nicht mehr organisieren müssen. Die Mitarbeiterinnen in Praxen sind damit jeden Tag stundenlang beschäftigt.“

Weniger Doppeluntersuchungen und Fehler in Medikationsplänen

Künftig sehen die Entwickler aber auch hier weitere Anwendungsfälle, wie zum Beispiel hinterlegte Patientenverfügungen. „Es geht aber nicht um eine möglichst vollständige elektronische Patientenakte, die die gesamte Gesundheitsgeschichte eines Menschen umfasst, sondern um die wichtigsten Daten für akute Behandlungen“, erklärt Polenz. Durch den schnelleren und digitalen Informationsaustausch hofft Polenz auf eine Verbesserung der Patientenversorgung sowie weniger Doppeluntersuchungen und Fehler in Medikationsplänen.

Über die Plattform können Patienten nach Polenz' Angaben zudem ihre Notfalldaten in ihrem Konto hinterlegen, wie Blutgruppe, Allergien und Medikationspläne. „Patienten erhalten dafür eine Visitenkarte mit einem QR-Code, der auch vom Rettungsdienst genutzt werden kann. So kann auch in Notsituationen sofort auf die wichtigen Daten zugegriffen werden.“

Patienten sind überrascht, dass Kliniken und Praxen nicht längst vernetzt sind

In seiner Praxis hat Polenz bereits viele Patienten auf die Gesundheitsplattform aufmerksam gemacht, wenn er sie an Fachärzte überweist oder in Kliniken einweist. „Alle sind dabei, doch viele sind sehr überrascht, dass der digitale Austausch neu ist.“ Das bestätigt auch Wolf: „Es geht ja nur um den einfachen digitalen Austausch von Gesundheitsdaten, doch das war bislang in Deutschland nicht möglich.“ Aus diesem Grund werde das Projekt auch vom Land NRW mit fünf Millionen Euro gefördert, sagt Wolf. „Eine weitere Million haben alle Partner selbst aufgebracht.“

Die Idee stammt laut Wolf aus dem Jahr 2016, als Teil der digitalen Stadt Paderborn. „Wir sind froh, dass die Plattform nun endlich läuft.“ Möglich gemacht hat das ein Unternehmen aus Büren, die Managementberatung Unity. „Alle Kliniken und Praxen haben ihre Systeme behalten, doch sie können jetzt Daten austauschen“, erklärt Vorstandsmitglied Thomas Pfänder. Zum Schutz der Patienteninformationen seien Plattform, Server und Rechenzentrum mit Blick auf die besonders hohe Sensibilität der Gesundheitsdaten von der Landesregierung, dem TÜV, der Ärztekammer Westfalen-Lippe sowie dem Ethikrat für die Digitalisierung der Stadt Paderborn überprüft worden. „Diese digitalen Daten sind sicherer als in Papierform“, sagt Pfänder.

Seit Mai 2020 ist durch die Datenschutz-Grundverordnung das Faxen personenbezogener Daten nach Angaben Pfänders verboten. „Es passiert aber trotzdem weiter, weil das deutsche Gesundheitssystem sonst nicht funktionieren würde. Das heißt aber nicht, dass dieser Datenumgang sicher ist. Im Gegenteil, er ist extrem unsicher.“

Weitere Kreise in OWL können Paderborn folgen

Sorge davor, dass die Politik bald ein eigenes System zur digitalen Vernetzung der Akteure im Gesundheitswesen etablieren und damit die Paderborner Lösung überflüssig machen wird, haben die Entwickler nicht. „Wir rechnen nicht mit einer Revolution, weil die stets nur angekündigt, aber nicht umgesetzt wird. Doch selbst wenn sie kommt, sind unsere Lösungen mit anderen Systemen kompatibel“, sagt Pfänder. „Wir wollen keine Konkurrenz schaffen, sondern die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben und nicht länger abwarten.“

Hoffnung machen sich die Entwickler zudem mit Blick auf den Personalmangel im Gesundheitswesen. „Wir können weiter versuchen Personal zu finden, das der Markt aber gar nicht bereithält, oder wir versuchen, Mitarbeiter bestmöglich zu entlasten, damit sie wieder Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben“, sagt Uwe Borchers, der das Projekt als Geschäftsführer des Zentrums für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL unterstützt. Die Entwickler hoffen deshalb, dass bald weitere Kreise in OWL in die Gesundheitsplattform einsteigen. „Darauf muss man sich aber als Region einlassen wollen.“

Quelle: Neue Westfälische, Carolin Nieder-Entgelmeier