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Ärztemangel: Junge Mediziner treten Nachfolge von alteingesessenen Hausärzten in Gütersloh an

Philipp Bruns und Alexander Morre treten jetzt gleichzeitig im selben Ort die Nachfolge von zwei alteingesessenen Kollegen an. Für Ärztevereins-Sprecher Wolfram Coesfeld kommt das einer Sensation gleich, denn der Nachwuchsmangel spitzt sich zu.

Die medizinische Versorgung krankt: Immer häufiger finden Ärzte keinen Nachfolger mehr und Praxen werden aufgelöst. Auch im Kreis Gütersloh ist die Zukunft von einigen Hausarztpraxen ungewiss, denn es herrscht Mediziner-Mangel. Aufatmen können dagegen die 4.993 Einwohner im Gütersloher Stadtteil Isselhorst.

Dort sorgen zwei „Docs“ nun dafür, dass die medizinische Versorgung im gewohnten Maße aufrecht erhalten bleibt: Philipp Bruns (34) und Alexander Morre (42) steigen zum 1. Juli in den beiden Dorf-Gemeinschaftspraxen ein. Sie werden Nachfolger von Kollegen, die in Ruhestand gehen.

„Solch ein Fall in zwei Praxen gleichzeitig ist heutzutage die Ausnahme und fast eine Sensation“, kommentiert Wolfram Coesfeld, Vorsitzender des Gütersloher Ärztevereins, den nahtlosen Übergang. Auch Stefan Kuster von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) findet es „bemerkenswert“, denn im Großraum Gütersloh ist die Situation eigentlich ziemlich angespannt.

Vom Oberarzt im Städtischen Klinikum zum niedergelassenen Hausarzt

„Der Mangel bei den Hausärzten ist spürbar. Gerade erst hat wieder eine Praxis in Rietberg geschlossen“, weiß Alexander Morre. Seit elf Jahren arbeitet der Vater von zwei Töchtern am Städtischen Klinikum Gütersloh, zuletzt als Oberarzt in der Kardiologie. Die Kollegen und das Umfeld hätten gepasst, doch vom kräftezehrenden Klinikalltag hatte der Gütersloher die Nase voll.

„Wenn man Heiligabend unterm Baum weg muss wegen eines Infarkts und die Kinder weinen, dann macht man sich seine Gedanken.“ Die führten den Internisten und Kardiologen auch dahin, die ambulante Versorgung verbessern zu wollen und über den Kontakt eines Kollegen schließlich zur Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis Am Haverkamp.

In Isselhorst wird Alexander Morre, der in München studiert hat, nun neuer Partner von Uwe Fraedrich. Er tritt er die Nachfolge von Jan Peter Theurich an, der sich nach 14 Jahren in den Ruhestand verabschiedet hat. Seit zwei Wochen arbeitet der 42-Jährige sich ein.

„Ich komme aus dem Krankenhaus und der Sprung in die ambulante Versorgung ist schwierig. Ich muss mich jetzt erst mal mit den Abläufen und Computerprogrammen, mit Abrechnungen und Ziffern vertraut machen. Ein gewisses Kribbeln ist da“, verrät Morre im Vor-Ort-Gespräch der „Neuen Westfälischen“ mit den beiden „Neuen“ am Dorfplatz.

Der Nachfolger von Brigitte Beyer kommt aus Dülmen

Auch Philipp Bruns, Facharzt für Allgemeinmedizin, ist dabei. Der 34-Jährige, der von 2008 bis 2015 an der Medizinischen Fakultät in Münster Humanmedizin studiert hat, ist den Alltag eines niedergelassenen Mediziners bereits gewohnt. Er arbeitet seit 2019 als Hausarzt in der Praxis Lippepark in Lünen. Aus dem Kreis Unna hat es ihn der Liebe halber nach Gütersloh verschlagen.

„Ich habe auf der Jobbörse der Kassenärztlichen Vereinigung gesucht, wo eine Stelle frei ist.“ So stieß der verheiratete und in Dülmen aufgewachsene Coesfelder auf die Gemeinschaftspraxis an der Isselhorster Straße 423, wo sich Brigitte Beyer nach 13 Jahren in den Ruhestand verabschiedet hat.

Im Jahr 2021 hat Philipp Bruns seine Facharztprüfung für Allgemeinmedizin bestanden. Jetzt sorgt er gemeinsam mit Bernfried Unkell (62) dafür, dass der Betrieb in der 1982 von Jörg Flöthmann gegründeten Praxis nahtlos weiterläuft und in Zeiten digitaler Neuerungen wie E-Rezept und elektronischer Patientenakte zudem weiterentwickelt wird.

„Wir planen etwa Online-Terminvergaben und Videosprechstunden.“ Da aktuell zudem eine neue Praxisverwaltungs-Software installiert wird, bleibt die Praxis vom 26. bis 28. Juni geschlossen. Sein künftiger Kollege Bernfried Unkell ist erleichtert, einen neuen Kompagnon gefunden zu haben. Er und Brigitte Beyer hatten zuvor einige Jahre vergeblich gesucht.

47 Prozent der Hausärzte im Großraum Gütersloh sind älter als 60 Jahre

Die extremen Probleme sind Stefan Kuster, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), bekannt: „Die Nachbesetzung von Arztsitzen in vielen Regionen, vor allem im ländlichen Bereich, wird schwieriger, da sich nicht genug junge Mediziner für eine Praxis, die eigene oder in Gemeinschaft, entscheiden.“

Ein Blick auf die hausärztliche Versorgungslage für den hiesigen Großraum verdeutlicht die schwierige Lage. 80,25 Hausärzte (Vollzeitäquivalente) sind derzeit nach Angaben der KVWL im Mittelbereich Gütersloh tätig, zu dem neben der Stadt Gütersloh auch Verl, Harsewinkel und Versmold zählen.

Der Versorgungsgrad im Mittelbereich Gütersloh, wo 47 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre sind, beträgt damit im Moment 78,8 Prozent. Zum Vergleich: Vor einem Jahr, im Juni 2022, waren es noch 82,3 Prozent. Bei unter 75 Prozent sprechen Fachleute von einer Unterversorgung. Es fehlen 32 weitere hausärztliche Niederlassungsmöglichkeiten.

Alarmierende Lage: Ärzteverein-Chef wünscht sich mehr Ausbildungsplätze

„Die Lage ist alarmierend“, weiß auch Wolfram Coesfeld. Die Gründe dafür seien vielfältig und viele Konzepte für Veränderung gescheitert. Ein Allheilmittel, da sind sich auch Philipp Bruns und Alexander Morre einig, gibt es nicht. Die Politik sei sicherlich gefordert. „Aber damit allein macht man es sich zu leicht“, findet Philipp Bruns.

Der Gütersloher Ärztesprecher Coesfeld hält die Schaffung weiterer Studienplätze für unabdingbar und die Fokussierung auf die Allgemeinmedizin: „Es geht einfach darum, noch mehr Leute auszubilden und die Bedingungen zu verbessern. Für mich ist der Job des Hausarztes immer noch ein sehr erfüllender Beruf.“

Quelle: Neue Westfälische, Christian Bröder