Die geplante Krankenhausreform in NRW sieht vor, dass künftig nicht mehr alle Behandlungen überall angeboten werden. Zur Verbesserung der Patientenversorgung sollen Leistungen zentralisiert werden. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) plant dazu bis Ende 2024 ein Konzept. Ein erster Entwurf, der nach den Verhandlungen zwischen Klinikträgern und Krankenkassen entstanden ist, liegt derzeit zur Prüfung bei den Bezirksregierungen. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass Magenverkleinerungen künftig nur noch an sehr wenigen Standorten angeboten werden dürfen. Die Chefärztinnen der Adipositas-Klinik im Klinikum Bielefeld warnen mit Blick auf die steigende Zahl stark übergewichtiger Menschen vor einer Verschlechterung der Versorgung. ''Die Versorgungslage ist bereits jetzt extrem schlecht, weil adipöse Menschen in Deutschland dramatisch unterversorgt sind“, erklärt Beate Herbig. Sie ist neben Carolina Pape-Köhler eine der beiden Chefärztinnen der Adipositas-Klinik. ''Das hat in Deutschland Tradition und lässt sich auf die diskriminierende Ablehnung der Erkrankung zurückführen.“ In vielen anderen europäischen Ländern sei die Versorgungslage deutlich besser. ''Während in Deutschland 34 adipöse Patienten pro 100.000 erwachsenen Einwohnern chirurgisch versorgt werden, sind es in Belgien 141 Patienten, in den Niederlanden 92 und in Frankreich 77.“
Zahl der Eingriffe in der Adipositas-Chirurgie steigt
In Deutschland gibt es klare Vorgaben, wann Ärzte Adipositas-Patient:innen eine Operation empfehlen und wann die Krankenkassen die Kosten tragen. Nach Angaben Pape-Köhlers müssen Patientinnen und Patienten eine sechsmonatige Basistherapie absolvieren. Zudem müsse der Body-Mass-Index (BMI), der sich aus dem Verhältnis von Körpergröße zum Körpergewicht errechnet, mindestens bei 40 liegen. ''Möglich sind Operationen auch schon bei einem BMI von 35, wenn bereits Folgeerkrankungen wie Diabetes bestehen.“ Eine Operation ist nach Angaben der Chirurgin Teil einer Therapie, um die chronische Erkrankung Adipositas zu behandeln, Folgeerkrankungen wie Diabetes zu verhindern und die Lebenserwartung zu steigern. Seit 2010 steigt die Zahl der Eingriffe in der Adipositas-Chirurgie in Deutschland kontinuierlich an.
17 Millionen Deutsche sind adipös
Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass 2010 5.539 Patientinnen und Patienten operiert wurden und 2021 23.626. ''Der Bedarf ist enorm und nimmt mit der steigenden Zahl an Adipositas-Patienten weiter zu“, erklärt Pape-Köhler. Das bestätigt auch die Deutsche Adipositas-Gesellschaft, die die Zahl der von Adipositas betroffenen Menschen in Deutschland auf 17 Millionen schätzt. Ein Viertel der Erwachsenen sind adipös. Betroffene werden nach Angaben von Präsident Jens Aberle jedoch vom Gesundheitssystem im Stich gelassen. ''Die Allerwenigsten erhalten eine Therapie gemäß den medizinischen Empfehlungen. In etwa neun von zehn Fällen werde die Erkrankung nicht einmal diagnostiziert.“ In NRW haben von den 15 Millionen erwachsenen Einwohner:innen nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa drei Prozent eine potenzielle Indikation für eine Magenverkleinerung als Teil einer Adipositas-Therapie. Das entspricht etwa 450.000 Menschen. Das geht aus der RKI-Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland hervor. ''Von den Betroffenen werden jedoch nicht Mal zwei Prozent chirurgisch versorgt“, kritisiert Pape-Köhler.
Chefärztinnen sind zuversichtlich
Damit sich die Versorgung von Adipositas-Patient:innen nicht verschlechtert, sondern in Zukunft verbessert, hoffen die Chirurginnen, dass sich die Klinikplanung in NRW an dem steigenden Bedarf orientiert. ''Die Daten, die als Grundlage für den ersten Entwurf genutzt werden, stammen von 2019“, erklärt Herbig. ''Grundsätzlich ist die Zentralisierung von Leistungen aber richtig, um die Versorgungsqualität zu verbessern.“ In der Adipositas-Chirurgie zertifiziert die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) qualitativ hochwertige Kliniken und Chirurgen. Herbig und Pape-Köhler waren vor ihren Wechseln von Hamburg und Paderborn zur Neugründung der Adipositas-Klinik in Bielefeld bereits zertifizierte Chirurginnen mit einer langjährigen Expertise. ''Doch bei einem Klinikwechsel müssen diese Zertifizierungen neu beantragt werden“, erklärt Herbig. ''Damit starten wir im Dezember, denn neue Kliniken dürfen die Zertifizierung erst nach zwei Jahren beantragen." Die Chefärztinnen sind aber zuversichtlich, ''dass der seit Gründung der Adipositas-Klinik erhebliche Zustrom von Patienten die Notwendigkeit einer Versorgung von adipösen Menschen in diesem Ballungsraum reflektiert und in die kommende politische Entscheidung positiv einfließen wird".